ANOUK
Soloausstellung
Galerie Morgenland
Sillemstraße 79
Hamburg Eimsbüttel
27. sep -13. okt 2024
https://www.kunstmatrix.com/en/galerie-morgenland
Anouk - Portraits von Kathrin Bick-Müller
Catharina Aanderud | Journalistin
Liebe Gäste,
herzlich willkommen zu dieser besonderen Vernissage. Ich freue mich sehr, dass Kathrin Bick-Müller mich gebeten hat, ein paar Worte über ihre Ausstellung ANOUK zu sagen. Denn ich habe ihre künstlerische Entwicklung von den Anfängen bis zu ihren ausgereiften und ausdrucksstarken Werken stets mit großem Interesse verfolgt, fasziniert von der Vielfalt ihrer Sujets und der bemerkenswerten Disziplin, mit der sie ihre Malerei kontinuierlich verfeinert hat, um schließlich dort anzukommen, wo sie heute steht.
„Meine Bilder sind das Ergebnis dessen, was ich nicht kann“, sagt Kathrin Bick-Müller selbstironisch - ein Satz, der sowohl ihren Humor als auch ihr Understatement sehr gut zum Ausdruck bringt. Denn jeder, der ihre Porträts betrachtet, wird schnell zu der Überzeugung gelangen, dass hier eine Perfektionistin am Werk ist. Jede Linie, jeder Pinselstrich sitzt, nichts ist dem Zufall oder gar der Tagesform überlassen, alles ist wohldurchdacht und passt zusammen, ist darüber hinaus auch immer ästhetischen Gesichtspunkten unterworfen. Die Freiheit, lediglich zu skizzieren, zu übertreiben oder Körperteile in ihren Dimensionen zu verändern würde sie sich nie erlauben, weil dies nach ihrem Empfinden der porträtierten Person den ihr zustehenden Respekt rauben würde.
In ihrem Bemühen, dem Wesen eines Menschen gerecht zu werden, ihm auf den Grund zu kommen und das für ihn Typische so herauszuarbeiten, dass es andere berührt, erlebt die feinfühlige Künstlerin das Malen eines Gesichts manchmal beinahe wie einen intimen Dialog mit der porträtierten Person. Und dieser mentale Dialog kann mitunter lange dauern, denn so, wie man in einem guten Gespräch seine Sichtweise des anderen erweitert oder verändert, unterliegt auch der Malprozess bei Kathrin Bick-Müller immer mehrfachen Korrekturen und Revisionen des einmal für richtig empfundenen. Dieser empathische Einsatz trägt sicher zu der Intensität bei, die ausnahmslos alle ihre Porträts ausstrahlen, genauer gesagt: zur intensiven Ausdruckskraft der Augen und des Blicks, der wir uns kaum entziehen können.
Wie manche von Ihnen vielleicht bereits wissen, sind immer Fotografien – hauptsächlich aus dem Internet - der Ausgangspunkt von Kathrin Bick-Müllers Arbeiten. Fotos von Personen, die durch Aussehen, Kleidung oder Haltung ihr Interesse wecken, sie anrühren und den Impuls, die Person zu malen auslösen. Fast immer sind dies junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren, die schon als eigenwillige Persönlichkeiten auftreten und in deren Gesichtern sich Hoffnungen und Pläne für die Zukunft ebenso wie der unerschütterliche Glaube an sich selbst und an die vielen Möglichkeiten, die das Leben für sie bereithält, widerspiegeln. Die spannende Zeit also, in der auch das Denken noch frei ist. So in etwa sieht der Suchfilter der Künstlerin für ihre Motive aus.
Als sie auf Anouk Lamm Anouk stieß, um die es in dieser Ausstellung geht, war es gleichsam eine Punktlandung. Anouk, gerade einmal 30 Jahre alt und schon ein Shooting-Star der österreichischen Kunstszene, verkörperte mit ihrem feenhaften, ätherischen Gesicht, dem blass geschminktem Teint und ihren ernsten, ausdrucksvollen Augen sozusagen in Reinform genau das, was Kathrin Bick-Müller mit ihren Bildern schon immer darzustellen versucht hatte. Vor zwei Jahren war sie über die Instagram-Seite der Johann König Galerie in Berlin auf die extravagante Wiener Malerin aufmerksam geworden, die auf ihrem eigenen Account eine sehr ungewöhnliche Form gefunden hatte, ihre Anliegen sichtbar zu machen. Denn Anouk postete dort nicht nur ihre überwiegend in Schwarz, Weiß und Beige gehaltenen Werke, sondern in couragierter Offenheit auch alle zentralen Facetten ihres Lebens: Ihr besonderes Aussehen, ihren Autismus und die Liebe zu ihrer Frau, die gleichzeitig ihre Managerin ist. Auch Tiere spielen eine tragende Rolle in ihrem Leben. In ihren Instagram-Posts erscheinen ihr Hund, der auf den exzentrischen Namen Sirius Grace Anouk hört, sowie ihre Katze Moon Fawn. Das künstlerische Schaffen von Anouk und ihr Alltag mit ihren Tieren im Studio lassen sich via Instagram fast tagesaktuell mitverfolgen. Leben und Werk sind eng miteinander verschränkt, denn auch in ihrer Malerei haben mystisch wirkende Tierwesen eine wiederkehrende Präsenz. Der Alltag, die Liebe, die Arbeit, die Extravaganz – in Anouks Oeuvre geht es darum, alle diese Aspekte zu vereinen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
„Lesbische Sichtbarkeit“ wie sie es nennt, ist Anouks zentrales Anliegen und die weibliche Befreiung von einschränkenden Normen ihr Grundthema: Das Hereinwachsen in eine falsche, gesellschaftlich vorgegebene Körperlichkeit und die Transformation von Schmerz in Schönheit und Kraft – und in Kunst.
„No age, no gender, no origin“ – kein Alter, kein Geschlecht, keine Herkunft – so lautet bezeichnenderweise der Titel ihres Manifests, das Teil ihrer ebenso selbstbewussten wie erfolgreichen künstlerischen Selbstpräsentation ist.
Seit sie einen Stift in der Hand halten konnte habe sie gezeichnet, sagt sie, und bis heute folge sie einzig und allein ihrer inneren Stimme. „Kunst war der einzige Karriereweg, den ich je für mich gesehen habe“, so Anouk. Als man sie warnte, nur zwei Prozent aller Maler könnten von ihren Bildern leben, beschloss sie, dass sie dann eben zu diesen zwei Prozent gehören werde – und behielt Recht, denn ihre Gemälde erzielen mittlerweile fünfstellige Summen.
Fasziniert von den Widersprüchen in Anouks Persönlichkeit – ihrer selbstbekundeten Schüchternheit, Introvertiertheit und ihrem Autismus im Gegensatz zu ihren extrovertierten, selbstbewussten Auftritten in den sozialen Medien, begann Kathrin Bick-Müller, ihr erstes Porträt von Anouk zu malen. Als sie mit dem Ergebnis zufrieden war (also erst, als es wirklich perfekt war), kontaktierte sie Anouk und fragte, ob sie damit einverstanden sei.
Ihr erstaunter Ausruf, als sie das Porträt von sich sah: „Das bin ja genau ich!“ Derart angetan davon, wie sie als sensible Künstlerin dargestellt worden war, erwarb sie das Bild. Es befindet sich seit 2022 im Besitz von Anouk und ihrer Partnerin und Managerin Marleen Anouk-Roubik.
Die Idee, der Künstlerin Anouk Lamm Anouk ein ganzes Projekt zu widmen, wie es hier zu sehen ist, kam Kathrin Bick-Müller durch die Entwicklung ihres Vorgänger-Projekts mit dem Titel „Porträts des Denkens“, das gerade als Gemeinschaftsausstellung im Heine-Haus in Lüneburg zu sehen war. Um dieses Thema zu bedienen, malte sie zum ersten Mal eine Porträt-Serie ein und derselben Person, um die Vielfältigkeit von Anouk einzufangen und, so Kathrin Bick-Müller, „in dem kühnen Versuch, mich auf diese Weise auch ihrem Denken zu nähern.“ Das hat offenbar gut geklappt.
Entstanden ist so ein einfallsreiches Spektrum von Porträts und Porträt-Ausschnitten nach Foto-Motiven Anouks, alle mit ganz unterschiedlichen Akzenten. Das feine Gesicht Anouks, umrahmt von unterschiedlichen Frisuren, Anouk mit schwarzer Hornbrille, die ihrem zarten Gesicht einen kritisch-intellektuellen Ausdruck verleiht. Anouk mit Katze, die genauso undurchdringlich guckt wie sie selbst, und Anouk neben einer ihrer Zeichnungen; Anouk von hinten, ganz in schwarz gekleidet, während sie die Umrisse eines Pferdes auf die beigefarbene Leinwand zeichnet.
Die von Kathrin Bick-Müller gewählten Bild-Ausschnitte bieten einen vielsagenden Einblick in das Lebensumfeld Anouks. Sie zeigen das Hündchen Sirius Grace auf Anouks Arm, während sie in der Hand das IphonePro hält, immer bereit das eigene Leben zu dokumentieren und damit unentbehrliches Accessoir und gleichzeitig Symbol ihres Strebens nach Sichtbarkeit. Wir sehen die ineinander verschränkten Hände von Anouk und Marleen, als stummes Zeugnis ihrer Liebe. Anouks Pinsel sowie die gedämpften Farben, die sie benutzt, weil bunte, schrille Farben sie schon immer zu sehr gestresst haben, verweisen auf ihren Autismus und runden die Serie ab.
Zwei Bilder der Serie hat Kathrin Bick-Müller Originalarbeiten der Künstlerin entlehnt, weil sie fand, dass sie einen tieferen Einblick in die Gedankenwelt Anouks ermöglichen und zum Verständnis ihrer Person beitragen.
Das eine ist eine beeindruckende Selbstbeschreibung Anouks in Versalien, die sich wie ein Manifest liest und in der sie ihr Gefühl beschreibt, als ewig schüchternes, ewig queeres und ewig autistisches Kind nirgendwohin zu passen – aber (und vermutlich ist dies ein hart errungener Entwicklungsprozess) auch ewig stolz auf jeden Teil von sich zu sein, stolz darauf, immer zu sich selbst zu stehen – und das trotz aller Schüchternheit.
Das andere Bild stellt passend dazu ein aus dem Himmel fallendes Lamm dar, in krakeligem Weiß skizziert auf pechschwarzem Hintergrund, darüber der gekritzelte Satz: I miss the place where I am from. Sich verloren fühlen in der Welt, denkt man, na klar, wer kennt dieses Gefühl nicht? Doch es ist komplizierter: Das Lamm soll die Unberührbarkeit der Gedanken symbolisieren und das Bild, so Anouk, „steht dafür, dass man die Wahrheit, mit der man zur Welt kommt, nie verliert.“ Also eine Ermutigung dazu, sich selbst treu zu bleiben, so, wie sie sich selbst treu geblieben ist.
Dasselbe kann man übrigens auch über Kathrin Bick-Müller sagen: Sie ist sich selbst treu geblieben. Nicht nur optisch (und ich kenne sie wirklich schon sehr lange), sondern auch in ihrem tief verwurzelten Bestreben, sich in ihren Werken ständig weiterzuentwickeln und konsequent zu verbessern. Überaus beeindruckend finde ich, dass sie dabei auch radikale Korrekturen nie scheut. Gelangt bei sie kritischer Betrachtung eines Porträts zu der Überzeugung, dass die Balance zwischen Mensch und Umfeld nicht stimmt, übermalt sie entschlossen den Hintergrund, auch wenn sie bereits wochenlang akribisch an den Details und den Accessoires gearbeitet hat, die sie ihren Personen mit viel Humor zuordnet.
„Meine Absicht ist, das Charakteristische der Hauptfigur zu unterstreichen und sie nicht durch das Dekor verschwinden zu lassen“, erklärt Kathrin Bick-Müller ihr Movens. Deshalb ist die Wahl des richtigen, für die Person am besten geeigneten Hintergrundes so schwierig und kann mitunter Monate dauern. Auch Kleidung und Gesicht der abgebildeten Person können sich wie schon erwähnt im Laufe des Arbeitsprozesses mehrfach verändern. Selbst wenn ein Bild bereits in einer Ausstellung hängt, ist es vor kleineren Korrekturen keineswegs gefeit…
Wie gesagt, hier ist eine Perfektionistin am Werk. Eine, die in ihrer Malerei mit äußerster Konzentration danach strebt, das Wesen eines Menschen zu erfassen und ihn gleichzeitig zu idealisieren, zu perfektionieren, ihn malerisch weiterzuentwickeln, mit der inneren Vorstellung vor Augen, wie er sein könnte. So geraten Kathrin Bick-Müllers Porträts auf den ersten Blick zu einer Hommage an die äußere Schönheit, sie sind aber darüber hinaus noch viel mehr: Auf der Suche nach dem Kern des Menschen, dort, wo er heil und ganz ist, sind diese Porträts auch der vorwegnehmende Entwurf gelungenen Menschseins, einer fast Zen-mäßigen Haltung innerer Gelassenheit und eines tiefen Einverstandenseins mit dem eigenen Leben.
Catharina Aanderud